Interview mit Prof. Dr. med. Claudia Schmidtke (Herzchirurgin, Mitglied des Bundestages, Patientenbeauftragte der Bundesregierung)

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Ein Nordlicht in der Bundespolitik in Berlin – mit Prof. Dr. Claudia Schmidtke steht seit 2019 eine hoch erfahrene Medizinerin an der Seite der Patienten und Patientinnen in Deutschland und kümmert sich als Beauftragte der Bundesregierung um deren Belange. Die sympathische Herzchirurgin gibt uns einen ganz besonderen Einblick in ihren politischen Berufsalltag, spricht mit uns über ihre Sicht der Dinge, wenn es um Digitalisierung & Co. geht und gibt klar zu erkennen, welche Aufgaben die Politik zu bewältigen hat, wenn es um Mitgliederzuwachs und die Jugend geht.

Auf der einen Seite bist Du als Herzchirurgin und leitende Oberärztin beruflich aktiv, auf der anderen Seite machst Du Bundespolitik und fungierst als Patientenbeauftragte der Bundesregierung. Das klingt verdammt nach zeitlichem Spagat. Wie schaffst Du den, ohne das irgendwas, sei es die eigene Gesundheit, die Familie oder die Arbeitsqualität leidet?

In meinen Funktionen als Bundestagsabgeordnete, Gesundheitspolitikerin und ehrenamtliche Patientenbeauftragte der Bundesregierung habe ich glücklicherweise schlagkräftige Teams an meiner Seite, die meine Termine organisieren, Inhalte vor- und nachbereiten und mir auch sonst eine Menge Unterstützung zukommen lassen. Doch auch mit dieser (Wo)manpower im Rücken wäre für mich eine nebenberufliche Tätigkeit in meinem Beruf als Herzchirurgin in der Tat nicht mehr vorstellbar. Während meiner Mandatszeit bin ich daher beurlaubt. Nur in einer Übergangszeit in den ersten Monaten der Mandatsübergabe konnte und wollte ich meine Arbeitgeberin, die Kolleginnen und Kollegen und natürlich vor allem die Patientinnen und Patienten nicht von heute auf morgen allein lassen. Das tue ich natürlich auch jetzt nicht, denn nun bin ich für alle Patienten Deutschlands zuständig.

Fotocredit: Olaf Malzahn
Fotocredit: Olaf Malzahn

Wann bist Du das erste Mal mit Politik in Berührung gekommen und wie groß ist der inhaltliche und zeitliche Unterschied zwischen Lokalpolitik und der auf Bundesebene?

Als Ärztin habe ich reichlich die Ideen der Gesundheitsminister zu spüren bekommen, am meisten die der umtriebigen Ulla Schmidt. Ganz automatisch beginnt man, eigene Ideen zu entwickeln, wenn man mit der vorgegebenen Politik nicht unbedingt konform geht. Auf lokaler beziehungsweise auf Landesebene traf mich die Entscheidung der damaligen schwarz-gelben Landesregierung in Schleswig-Holstein, die Universität zu Lübeck schließen zu wollen, sehr direkt und hautnah. Damals war die ganze Stadt auf den Beinen und hat sich wie eine Eins hinter die Universität gestellt – ein außergewöhnliches Erlebnis. Ich selbst fand mich plötzlich sogar bei einer Großdemonstration vor dem Kieler Landeshaus wieder. Meine erste Demonstration!

Das zweite Erlebnis ergab sich dann 2015, in einem benachbarten Wohnviertel sollte eine überdimensionierte Erstaufnahmeeinrichtung gebaut werden. Der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel stand ich nicht ablehnend gegenüber, denn wer in Not ist, dem muss geholfen werden. Doch wie die Bürokraten der damaligen rot-grünen Landesregierung damals auf die Sorgen der Bürger vor Ort reagierten, das hatte mich wütend gemacht. Entscheidungen mussten getroffen werden, aber die Verantwortlichen sind auch in der Pflicht, den Diskussionen standzuhalten. Das ist meine Überzeugung, deshalb war ich dann in eine Partei eingetreten: Die CDU.


Wir beiden haben unsere Wurzeln in der schönen Hansestadt Lübeck, machen aber seit mehreren Jahren die Hauptstadt unsicher. Für welche Stadt schlägt Dein Herz höher und was sind, deiner Meinung nach, die absoluten Hotspots in Lübeck und Berlin?

Vermutlich haben wir eine unterschiedliche Sichtweise, was das Unsichermachen der Hauptstadt betrifft. Ich reise zu den Sitzungswochen an und bewege mich dann ausschließlich rund um das Regierungsviertel. Die Tage sind von Montag bis Freitag minütlich durchgeplant, von 7:30 Uhr bis mindestens 22:00 Uhr. Hotspots zu entdecken, das ist bei dem Pensum nahezu unmöglich.

In Lübeck liebe ich die Altstadt in ihrer Gesamtheit, Spaziergänge am Strand von Travemünde oder an der Wakenitz mit meinen Hunden, Konzerte in unserer MuK. Wir haben erfreulicherweise ein sehr gutes Angebot an hervorragenden Restaurants. Aber ehrlicherweise – auch in meiner Heimatstadt ist die Zeit, all die wunderbaren Events nutzen zu können, sehr begrenzt.


Wenn Du Dir Dein jetziges Berufsleben einmal direkt anschaust – ist es genau das, was Du schon immer machen wolltest oder ist Dir bis dato der eine oder andere, berufliche Wunsch verwehrt geblieben?

Alles, was ich bislang gemacht habe, habe ich gern gemacht und mache es gern. Dass mein Leben so bunt werden wird – leidenschaftliche Herzchirurgin, leidenschaftliche Wissenschaftlerin, leidenschaftliche Mandatsträgerin und leidenschaftliche Patientenbeauftragte – davon kann man nur träumen. Man kann nicht alles planen im Leben, aber man kann und sollte vieles probieren. Ich merke, ich halte gerade ein Plädoyer für die Vielfalt und die Freude am Leben.


Wir alle befinden uns wirtschaftlich, politisch als auch gesellschaftlich in einem strammen Epochenwandel. Was glaubst Du, sind die größten Herausforderungen für die Menschheit in den kommenden zehn Jahren?

Ich bin Mitglied der Enquete-Kommission des Bundestages, die sich mit der Auswirkung unserer Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz befasst. Hier gilt ebenso wie bei den Entwicklungen in den Sektoren Energie, Mobilität, personalisierter Medizin, Quantencomputing, Robotik und so weiter: Wir stecken erst am Anfang, kommen aber mit großen Schritten voran. Und am Ende werden alle Entwicklungen unser Leben verändern. Alle diese Fortschritte verdanken wir der Digitalisierung. Wir als Politiker sind in der Verantwortung, sie in die richtigen Bahnen zu lenken. Aber die größte Herausforderung sehe ich aktuell darin, dass wir Menschen auch zukünftig respektvoll miteinander umgehen und unsere Demokratie und Freiheit erhalten.


Betrachten wir die Generation Z, also die jungen Menschen, die sich nach und nach auf den Eintritt in das Berufsleben vorbereiten, so ist klar erkennbar, dass diese Generation andere Ansprüche an das Thema Arbeit hat, als die bisherigen Generationen. Gibt es etwas, was Du gerade den jungen Menschen mit auf den Weg geben möchtest, wenn es um die Job-Findung geht?

Ich verweise auf mein Lebens-Plädoyer zu Frage 4: Chancen sehen und ergreifen. Etwas wagen. Und positiv bleiben.

Fotocredit: Olaf Malzahn
Fotocredit: Olaf Malzahn

 

Glaubst Du, dass die Lokal-, Landes- und Bundespolitik im Allgemeinen heutzutage noch die Akzeptanz bei den jungen Menschen genießt, wie vor zwanzig, dreißig Jahren? Was muss sich, Deiner Meinung nach, in der politischen Landschaft ändern, um zeitgemäß zu bleiben und auch die kommenden Generationen inhaltlich mitzunehmen?

Es sind ja vor allem die Parteien, die vor großen Herausforderungen stehen. Ich bleibe als Quereinsteigerin eine Ausnahme. Wer ist heute noch Parteimitglied und will die Gemeinde oder die Gesellschaft mitgestalten? In der Verantwortung sind wir alle, wenn wir unsere demokratische Gesellschaft bewahren wollen. Einerseits muss das Angebot stimmen, aber andererseits müssen wir alle auch erklären, was uns im politischen Prozess fehlt; was uns noch davon abhält, mitgestalten zu wollen.


Smart Home, E-Mobilität, Big Data und Digitalisierung sind in aller Munde. Wie digital bist Du heutzutage im Job als auch im Privatleben?

Im Job bin ich digital. Wir haben ein digitales Büro. Ohne Smartphone wird es schwierig – allein z.B. hinsichtlich der Terminkoordination. Privat nutze ich die digitalen Angebote, sofern sie das Leben erleichtern. Bücher allerdings bevorzuge ich analog. Ihre Haptik gibt es nicht digital.


Du vertrittst als Beauftragte der Bundesregierung die Belange der Patienten und Patientinnen in Deutschland. Was muss sich ändern, damit das Thema Pflegenotstand und auch Ärztemangel endlich in den Griff bekommen wird? Können wir so weitermachen, wie bisher oder brauchen wir grundliegende Reformen?

Das sind zwei wichtige Themen. Im Bereich Pflege haben Bundesregierung und Bundestag bereits viele Maßnahmen ergriffen. Dass die stationäre Pflege aus den Fallpauschalen herausgenommen wurden, ist ein riesiger Schritt: Krankenhäuser können mittlerweile alle Pflegekräfte erstattet bekommen, die sie einstellen. Damit bleibt natürlich das Problem, dass der Arbeitsmarkt leergefegt ist. Ich bin mir aber sicher, dass wir die Negativspirale aus schlechten Arbeitsbedingungen und Aufnahme von Teilzeit oder Umorientierung in andere Berufe schrittweise umgedreht bekommen. Dabei helfen uns auch umfassende Maßnahmen wie die Konzertierte Aktion Pflege von drei Bundesministerien, die gezielte Anwerbung aus dem Ausland und künftige Erleichterung der Pflegekräfte durch Innovationen. Wohlgemerkt: Erleichterung, nicht Ersatz.

Was den Ärztemangel angeht, ist der Bund hier leider kaum in der Lage, Änderungen herbeizuführen. Die Ausbildung von Medizinerinnen und Medizinern liegt bei den Ländern. Wir müssen mehr Ärztinnen und Ärzte ausbilden, und wir müssen diejenigen ausbilden, die auch in der Versorgung in Deutschland bleiben – und nicht anschließend an ihr teures Studium z.B. in die Schweiz ziehen. Letzteres zu verhindern, hat natürlich auch mit den Arbeitsbedingungen zu tun, auf die wir Einfluss haben. Unser System ist grundsätzlich gut aufgestellt, es ist eines der besten Gesundheitssysteme der Welt – doch gibt es immer Verbesserungspotenzial. Auch als Mitglied des Gesundheitsausschusses arbeite ich daran, dass unser Gesundheitswesen besser wird.


Eine letzte Frage zum Schluß. Die Debatten im Bundestag sind zu Ende und das OP-Licht wird ausgeschaltet. Was treibt Claudia Schmidtke in ihrer Freizeit bzw. nach Feierabend zu gerne und welche große Leidenschaft treibt sie an?

Freizeit ist wie angedeutet ein seltenes Gut. Neben viel Fachliteratur lese ich gern Biographien und gute Krimis. Mein neues Sommerhobby ist Heckenschneiden, mein Garten hat viele davon. Für Bewegung sorgen meine Hunde. Wenn möglich, schwimme ich täglich. Ich gehe gern in Konzerte, liebe das Schleswig-Holstein-Musik-Festival. Die restliche Zeit ist für Familie und Freunde da.

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